Bottari
Bottari – Ein Ausstellungsprojekt auf dem Kirchentag
Das Ausstellungsprojekt „Bottari“ wurde im Juni 2019 von der Evangelischen Stadtakademie, der Koreanisch-Evangelischen Kirchengemeinde Bochum und der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum Wiemelhausen mit Künstlerinnen und Künstlern aus Korea und Japan auf Zeche Zollen in Dortmund veranstaltet. Die Stadtakademie ist seit vielen Jahren ein Ort der Erinnerungskultur. Dabei hat sie sich unter der Leitung von Arno Lohmann immer wieder auch schwierigen Themen gestellt: z.B. dem Israel-Palästina- und dem Türkei-Armenien-Konflikt. Dem diente auch das Projekt Korea 2014 und die Studienfahrt nach Korea und Japan mit einem Besuch von Hiroshima. Auf die Ausstellung haben wir uns ein ganzes Jahr lang vorbereitet. Im Vorfeld und im Nachgang gibt es mehrere begleitende Vorträge. Der Gottesdienstgemeinde in Wiemelhausen wurde das Projekt durch den koreanisch-deutschen Gottesdienst im Juli bekannt.
Für die Koreanische Gemeinde stand diese Veranstaltung und der Einsatz dafür, dass den durch die japanische Armee misshandelten Frauen Gerechtigkeit widerfährt, in der Tradition eines seit ihrer Gründung bestehenden Kampfes für Gerechtigkeit und Friede. Wie kaum eine andere Gemeinde in Deutschland hat sich die an der Bochumer Melanchthonkirche ansässige Koreanische Gemeinde für die Demokratiebewegung in Korea eingesetzt. Die Gemeinde unterstützt sehr deutlich und aktiv das Anliegen, eine Statue in Deutschland aufzustellen, die an das Leid der sexuell versklavten Koreanerinnen während des Zweiten Weltkriegs erinnert.
Das Projekt bezieht sich unmittelbar auf zwei der Schwerpunkte, die sich die Gemeinde Wiemelhausen in ihrer Arbeit gesetzt hat: Weltverantwortung und die Begegnung mit Kunst. Kunst und politisches Engagement stehen hier in einer spannungsreichen Beziehung. Wie politisch darf Kunst sein? Wie politisch darf Kirche sein?
Aus meiner Sicht ist es unzweifelhaft, dass in Deutschland lebende Koreanerinnen und Koreaner ein Recht darauf haben, auch in Deutschland der eigenen Geschichte zu gedenken und dazu einzuladen, an dieser Erinnerung Anteil zu nehmen. Es ist klar, dass dadurch Konflikte nach Deutschland getragen werden, die uns scheinbar fremd sind.
Das Thema betrifft uns durchaus. Es darf aus meiner Sicht nicht vergessen werden, dass Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg verbunden waren. Die Ausstellung gibt vor diesem Hintergrund im Blick auf die europäische Geschichte einen Impuls, sich mit dem Thema Zwangsprostitution und sexueller Sklaverei in deutschen Kriegs- sowie KZ- und Zwangsarbeitslagerbordellen zu beschäftigen. Auch die Vergewaltigung deutscher Frauen während des Kriegs ist nach wie vor ein Tabuthema. Es gibt dafür keinen angemessenen Ort des Gedenkens.
„Bottari“ hieß die Ausstellung auf dem Kirchentag. Ein „Bottari“ ist ein rechteckiges Stück Stoff, das an seinen vier Ecken hochgebunden zu einem Bündel wird, in das man Dinge einwickeln und transportieren kann. So wird es bis heute in Korea verwendet. Bottari“ ist eine Metapher für die Dialektik des Erinnerungsprozesses. Im Bottari-Projekt wird angesichts des Versagens offizieller Politik gerade der Kunst die Kraft zugetraut, die Zipfel des Tuches zu öffnen und zu zeigen, wovor viele die Augen verschließen: hartnäckig erinnern koreanische, aber auch japanische Künstlerinnen und Künstler an die sexuelle Sklaverei, zu der während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1937 und 1945 durch die japanische Armee etwa 200.000 bis 300.000 Frauen vornehmlich aus Korea, aber auch aus vielen anderen asiatischen Ländern systematisch gezwungen wurden.
Bei dem, was wir während des Kirchentages auf Zeche Zollern gezeigt haben, handelt es sich – und das mag fremd erscheinen – um politisch engagierte Kunst, bei der die Grenzen zwischen Kunst und politischer Agitation verwischen. Ich habe gelernt: Die Wege, Erinnerung auszudrücken , sind kulturell sehr verschieden. Wir haben im Prozess der Vorbereitung der Ausstellung gelernt, dem mit Respekt zu begegnen. Trotzdem scheint mir der Grundsatz zu gelten: Wo das Ziel, einen gemeinsamen Raum des Erinnerns zu schaffen, in dem Koreanerinnen und Koreaner und Japanerinnen und Japaner je für sich und gemeinsam ihrer Geschichte erinnern können, aus dem Augen gerät, besteht die Gefahr, dass Engagement in der Konfrontation stagniert und Türen zugeschlagen statt geöffnet zu werden. Umso wichtiger ist für das wechselseitige Verstehen der Prozess der Auseinandersetzung mit den kulturell sehr verschiedenen Ansätzen der Erinnerungskultur. Was unterscheidet, was verbindet koreanische, japanische und deutsche Erinnerungskultur? Mit unserem Projekt versuchen wir Orte zu schaffen, an denen das angstfrei diskutiert werden kann. Der Weg des tastenden Suchens nach einem Dialog ist schmal und – so haben wir während und nach der Ausstellung leidvoll zu spüren bekommen – stets von der Gefahr von Zensur und vorauseilender Selbstzensur überschattet. Beides, die Verhärtung in Zensur und in agitatorischer Konfrontation verhindern aber das Gespräch. Den Raum des Gesprächs offen zu halten, darin sahen und sehen wir in diesem mühsamen Verständigungsprozess unserer Aufgabe.
Wir sind erst am Anfang.
Der Stuhl neben dem Mädchen ist frei: Für mich ist und bleibt er eine einladenden Geste. Für mich. Für jeden. Täter und Opfer. Es geht dann einfach nur noch darum, da zu sein im Raum dessen, was geschehen ist. Im Aushalten der Vergangenheit kann Versöhnung wachsen und darin nicht zu vergessen, dass das gleiche Unrecht noch heute täglich geschieht, wo Frauen – nicht nur im Krieg – Opfer sexueller Gewalt werden.
Für das Jahre 2020 plane ich eine Ausstellung zum Kwangju-Massaker, das sich im Mai 2020 zum 40. Mal jährt und ein wichtiges Ereignis auf dem Weg der Demokratisierung Koreas ist. Ferner bin ich für das Jahr 2021 mit Yumi Song, einer bei der diesjährigen Ausstellung vertretenen koreanisch stämmigen Künstlerin aus Japan im Gespräch, eine neue Ausstellung zu konzipieren in der es im Gespräch zwischen Ost und West um das Thema Sprache und Gewalt gehen soll.
Martin Röttger
Veranstaltungshinweis:
Von September bis Dezember sind Bilder der „Bottari“-Ausstellung vom Kirchentag in den Räumen der Evangelischen Stadtakademie Bochum zu sehen. Zur Finissage laden wir zu einem Vortrag ein: Dienstag, 10. Dezember 2019, 19.30 Uhr, Evangelische Stadtakademie Bochum, Westring 26c Criselda Molemans, Niederlande: Lebenslanger Krieg – Die verschwiegenen „Trostfrauen“
Linkhinweis:
Unter dem nachstehenden Link finden Sie den Bericht aus dem Gemeindebrief aus Juni 2019, in dem auf das Projekt auf dem Kirchentag hingewiesen wurde. Dort finden Sie auch PDFs mit weitern Hintergrundinformationen.