Die Melanchthonkirche

Die Melanchthonkirche wurde 1913 eingeweiht. Die Gemeindeglieder konnten damals stolz sein auf ihren modernen, nach der Art eines Amphitheaters zentrierten Kirchbau, errichtet nach dem sogenannten Wiesbadener Programm. Das erkennt heute jedoch nur noch, wer um diese Baugeschichte weiß. Die mächtige, das Kirchenschiff überwölbende Kuppel und das reich verzierte Gesamtgebilde aus Orgel, Kanzel, Altar und Sängerempore in der Apsis gehören längst der Vergangenheit an. Nur noch wenige Schwarz-Weiß-Fotografien erinnern daran.

Nachdem die Kirche im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden war, sollte ihre Neuerrichtung auch in der innenarchitektonischen Formensprache einen geistigen Wandel zum Ausdruck bringen. Auf den Grundmauern des Zentralbaus, der vormals das Selbstbewusstsein der feiernden Gemeinde veranschaulichte, entstand ein dem optischen Eindruck nach nüchterner langschiffiger Kirchenraum. Aus einer „stolzen Predigt-Kirche“ sollte eine „demütige Sakraments-Kirche“ werden, hieß es im Jahre 1950.
Aber die Melanchthonkirche behielt auch nach dieser Umgestaltung ihren Eigensinn, erst recht nach der Renovierung 1999 trat die „rundliche Figur“ wieder stärker in den Vordergrund, sowohl durch die Neugestaltung des Altarraumes als auch durch die halbrunde Anordnung der Bänke. Der so entstandene Freiraum in der Kirchenmitte wird seither für liturgische Inszenierungen wie für ein reiches Kulturprogramm genutzt.

Inwiefern ein Gottesdienst-Raum zugleich Ausstellungs-Raum sein kann, macht die Melanchthonkirche exemplarisch anschaulich. Ihre schlichte Gestaltung und die ausgewogene Gliederung des Innenraumes ermöglichen es, dass Werke namhafter Künstler und Künstlerinnen über Wochen und Monate den Kirchenraum prägen, ohne ihm etwas von seinem sakralen Charakter zu nehmen. Dank ihrer formalen Klarheit strahlt die Melanchthonkirche bei all ihrer Wandelbarkeit eine große Ruhe, Erhabenheit und Gelassenheit auf all jene aus, die die laute Königsalle hinter sich lassend das Gotteshaus betreten.