Donezk

Digitales

15.02.2021

Bericht von Ludmila Pelich, Februar-Juni 2020, Leiterin der Ev.-Luther. Gemeinde

Ich hatte noch einige Punkte in meiner Planung, als das Unglück ausbrach. Das Unglück hieß Corona -Virus und hatte als  Folge noch ein Unglück namens Quarantäne gebracht. So hänge ich bis jetzt– Ende Juni – in Donezk fest – und meine Hoffnung, zurück nach Odessa zu kommen, wird immer schwächer….

Als die Grenze zur Ukraine wegen der Quarantäne geschlossen wurde, gab es  in Donezk überhaupt keine Information über die Epidemie und demensprechend auch keine Panik.  Nur die Forderungen nach Sicherheitsmaßnahmen wurden gestellt.  Das hat auch funktioniert.  Die Leute hatten Masken an,  manche auch Handschuhe, Distanz wurde gehalten.  Nur kein einziges Wort, was die Zahl der Erkrankten betrifft.  Von Bekannten, die in der medizinischen Branche tätig sind, habe ich gehört, dass es  kein Testen gab, keine Schutzbekleidung für die Ärzte. Da die „ Donezker Volksrepublik“ von Russland völlig abhängig ist, blieb sie mit dem Problem allein. Inzwischen hat aber Russland sehr aktiv gegen die Pandemie gekämpft. Von allen Fernseh-Kanälen wurde gezeigt, wie das Militär die mobilen Spitale mit der ganzen notwendigen Ausrüstung schnell aufgebaut hatte und die ganze Industrie auf die Bekämpfung der Pandemie umorientiert wurde. Die DNR  hat keinen interessiert.  

Von den medizinischen Kreisen habe ich eine diskrete Information bekommen,  dass aus Russland für Donezk 200 Tests geliefert wurden. Allein 50 davon hat das Gesundheitsministerium für sich genommen, die anderen 150 hat die Regierung der DNR für sich reserviert.   Wie die Tests gebraucht wurden, dieses Staatsgeheimnis ist für uns unbekannt geblieben.

 Einige von meinen Bekannten wurden krank mit allen für Corona typischen Beschwerden. Bei keinem stand jedoch Corona in der Krankengeschichte. Es hieß in der Regel  ‚Lungenentzündung‘.  Eine von diesen Opfern kann seit März ihre Gesundheit nicht in Ordnung  bringen, obwohl sie aus der Klinik entlassen wurde. Es hat lange gedauert, bis das Gesundheitsministerium mit der Information über die an Corona Erkrankten im Fernsehen angefangen hat.

Ein riesiges Problem ist im Moment die fehlende Möglichkeit,  ein- und auszureisen. Der Grund war am Anfang die Quarantäne. Seit 24. März sind die Passierstellen zu.  Tausende warten von beiden Seiten auf die Möglichkeit, nach Hause kommen zu können.  „Glückspilze“ haben hier in Donezk noch einen Wohnsitz –  wie ich.  Das macht das Problem noch mehr oder weniger erträglich.  

Die DNR ließ ihre Grenzen zu, als die russischen und die ukrainischen schon geöffnet wurden.  Ohne jegliche Erklärung oder Begründung. Das hat ein neues Chaos provoziert. Die Leute kamen  kaputt und todmüde durch das Niemandsland zu Fuß mit ihren Koffern, Kindern, Alten, weil es die früher kursierenden Pendelbusse nicht mehr gab – und mussten wieder zurück.  Die Entfernung  ist dabei von 5 bis 7 Kilometern, und dann aber nochmal zurück. Inzwischen waren die Passierposten der Ukraine auch zu gemacht.

Die Tagestemperaturen stiegen auf bis zu 36 Grad im Schatten.  

Erschöpfung, Enttäuschung, Erniedrigung und totale Hoffnungslosigkeit bleiben nicht ohne Folgen und werden das Leben der Leute mit Sicherheit kürzer machen.  

Langsam hat man den Eindruck, dass dies gerade ein Ziel der Führer der DNR  ist, um die Ausgaben für die sozialen Auszahlungen zu sparen. Dabei sind diese Auszahlungen so niedrig, dass die Leute wirklich hungern.  Das scheint aber die Leitung der Republik am wenigsten zu interessieren.  

Inzwischen wird mit der Propaganda, mit Festen, Paraden und Feuerwerken nicht gespart. Überall hängen die riesigen Plakate, wie „ Donbass ist Russland“, „Unsere Wahl ist Russland“,  „Mit Russland auf ewig“ usw. Großzügig wurde der Jahrestag Russlands gefeiert:  Fast auf jedem Balkon waren die russischen Fahnen befestigt, geschweige schon über den Geschäften, Bürozentren und offiziellen  Gebäuden, auf  den Straßen und in den Parks. (Eine Frau, die die Fahne von ihrem Balkon abgebaut hat, wurde nach einer kurzen Zeit verhaftet und  sollte 30 Tage im Keller sitzen wegen „Beleidigung der Republik“. Gerettet hat sie nur, dass sie mit einem Spanier verheiratet ist und der einen Alarm durch die Botschaft getrommelt hatte. So endete sich ihr Besuch bei den Eltern in Donezk  mit einer Zwangsausweisung aus der DNR direkt vom Gefängnis, mit 15 Minuten Zeit, die die Polizei ihr gnädig für das Packen ihrer Sachen gegeben hat. Ein Glück im Unglück für sie gab es, denn sie wurde durch alle Passierposten der DNR transportiert und auf solche Weise ausgewiesen.)

Auch ohne Militärparade konnte die Republik nicht weiter existieren. An demselben Tag  mit Moskau  hinterließen die Panzer und die andere schwere Militärtechnik  die tiefen Rillen in dem heißen Asphalt der Donezker Straßen…….

Sehr aktiv werden der Bevölkerung  die russischen Pässe  angeboten: einigen Rangstufen  zwangsmäßig, den anderen nach ihrem Wunsch. Zuerst ist es notwendig, einen Pass der  DNR  zu bekommen, danach dann einen Pass der russischen Republik.  Die sich jetzt dafür anmelden,  kommen erst 2021-2022 an die Reihe.  

Den Besitzern der russischen Pässe wurde angeboten, sich in den russischen Städten und Siedlungen  entlang der Grenze an den Wahlen (Abstimmung über die Verfassung) zu beteiligen. Die Busse wurden zur Verfügung gestellt, die Grenze geöffnet und nach der Rückkehr gab es keine Zwangsbehandlung. Und natürlich die fröhlichen Glückspilze im Fernsehen, die vor Stolz beinahe platzen, dass  sie sich an solch einem wichtigen Ereignis beteiligen konnten…

Auch kein Wunder: Von allen Kanälen überfährt die Menschen jede Minute eine gut organisierte propagandistische Maschine, wie die Panzer die Straße, und hinterlässt die tiefen Rillen in ihrem Gehirn. Die berühmten und in dem Volk beliebten Prominenzen  erklären, wie wichtig und schön es ist, das Schicksal des geliebten Landes mitzubestimmen (lies: für die Änderungen in der russ. Verfassung zu stimmen!). Die Kremlpropagandisten prophezeien die Apokalypse  für die ganze Welt, mit Ausnahme des unbesiegbaren Russlands, das von allen Sanktionen gegen dieses Land nur stärker wird.  Zynisch und verächtlich wird von den führenden Politikern in den anderen Ländern gesprochen.  

In dem Programm „ Moskau. Kreml. Putin.“ erscheint in aller Bescheidenheit  der beste Präsident  aller Zeiten und aller Völker so menschlich, so einer aus dem Volk, genauso wie ich und Du, nur mit einem Traum erfüllt, dass jeder Russe auf der Welt glücklich sein kann.  Jedes Theater hätte den begabtesten Schauspieler  engagieren können. Das Publikum würde gerührt bis zu den Tränen sein.

In einem Amt flüsterte mir die Angestellte zu ( die Chefin verbietet, mit den Kunden über die Politik zu sprechen), „welches Glück es ist, solchen Präsidenten zu haben. Es gibt keinen zweiten, wie er“ – sagte sie mit Tränen in den Augen. „Er kann nicht schlafen, wenn er denkt, dass noch nicht alle Russen glücklich sind, besonders in den Ländern  der ehemaligen UdSSR, die nach dem Zerfall der Sowjetunion selbstständig geworden sind“. Das  solle sie selbst in seinem  Interview  gehört haben …

Kein Kommentar…!

Donezk, den 30. Juni 2020
Ludmila Pelich